Bischof Dr. Gebhard Fürst

Brief an die ältere Generation

Rottenburg, im Oktober 2003

 

Liebe Seniorinnen und Senioren,
liebe Schwestern und Brüder!

Schon einige Zeit war es mein Wunsch, Ihnen einen Brief zu schreiben.

Denn meine Gedanken sind oft bei Ihnen: Sie schauen auf ein langes und reiches Leben zurück, haben einen oder gar beide Weltkriege miterlebt. Ihr Leben war voller Umbrüche und Neuanfänge. Armut und Aufbau, bescheidener Wohlstand, Vertreibung und Verlust der Heimat – all das kommt mir in den Sinn, wenn ich an Sie denke. Auch unsere Kirche hat sich im Lauf Ihres Lebens erheblich verändert: Es gab Umbrüche und Erneuerungen. Das Konzil sei genannt, hier besonders natürlich die Veränderungen im Bereich der Gottesdienst- und Eucharistiefeiern.

Sie haben in all den Jahren versucht, Ihren Glauben zu leben und an Ihre Kinder weiter zu geben. Für dieses gelebte Glaubenszeugnis, das sich vor allem in einer ausdauernden Frömmigkeit des Alltags ausdrückt, möchte ich Ihnen in diesem Brief von Herzen danken. Denn auf diese Weise setzt sich unser Glaube zuallererst fort. Er wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Dass dies nicht immer leicht war, ja manches Mal beschwerlich, mühsam und gar schmerzhaft gewesen ist, ist mir bewusst.

In manchen Gesprächen mit älteren Menschen höre ich, wie sie darunter leiden, dass ihre Kinder lockerer sind im Umgang mit Kirche, mit ihrem Glauben und mit Gott. „War denn alles umsonst?”, klagen manche voller Kummer. Andere wieder fragen: „Was haben wir falsch gemacht?”

Hier möchte ich Ihnen ein kräftiges Wort des Trostes und des Zuspruches senden: Auch wenn manches in unseren Augen wie Stückwerk und sogar vergeblich zu sein scheint, dürfen wir doch sicher sein, dass kein gutes Wort, keine liebevolle Geste, kein geduldiges Nachgehen vergebens und verloren sind. Seien Sie gewiss, dass der Same, den Sie auf diese Weise unablässig verstreuen, auf eine Weise, die wir letztlich nicht kennen, auch in manchen noch so harten Boden eindringt und doch Frucht bringen wird.

Und bei all dem dürfen wir zudem ruhig darauf vertrauen, dass bei unseren Bemühungen, auf unseren Wegen, der gute Gott stets –wenn auch manches Mal vielleicht unbemerkt- unser Begleiter ist. Nochmals möchte ich Ihnen also von Herzen danken für dieses vielfache Glaubenszeugnis, das Sie auf Ihren ganz verschiedenen Lebenswegen abgelegt, geleistet und so weitergegeben haben.

Das alttestamentliche Buch des Propheten Jesaja überliefert hier ein tröstliches Wort Gottes an sein Volk, das wir auch auf uns beziehen dürfen: 'Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet, bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan, und ich werde euch weiterhin tragen, ich werde euch schleppen und retten.' (Jes 46,4)

Liebe Seniorinnen und Senioren, Sie leben in der sogenannten dritten Lebensphase, entdecken nochmals neue Möglichkeiten der Entfaltung des Lebens. Unsere Gesellschaft und unsere Kirche braucht Sie, Ihre Erfahrungen, Ihre Lebens- und Glaubenszeugnisse.

Das Gespräch zwischen Jung und Alt ist besonders wichtig, nicht nur dann, wenn Beispiele eines glücklichen und geglückten Lebens aufgezeigt werden können. Auch und gerade schwierige Lebenswege und bestandene Herausforderungen, können für Ihre Kinder und Enkel Ansporn und Anstiftung für deren Leben und Handeln sein. Mehr als alle Worte und Erklärungen ist es Ihr gelebtes Zeugnis, das Vertrauen schafft und Glauben weitergibt. Aus der Art und Weise, wie Sie Ihr Leben gestaltet haben und weiter gestalten, kann die ganze ältere Generation, können aber vor allem die nachfolgenden Generationen Hoffnung und Mut schöpfen.

Dankbar bin ich auch dafür, wie engagiert und kreativ sich ältere Menschen in unseren Kirchengemeinden einbringen. Was wäre unsere Kirche ohne das Ehrenamt der Seniorinnen und Senioren? Wir brauchen Ihre Mitarbeit, wir brauchen Ihre Erfahrungen, Ihre Fähigkeiten und Begabungen. Nicht zuletzt bauen wir auch auf Ihr Gebet.

Der schwäbische Dichter Hermann Hesse beschreibt die Bedeutung des Alters einmal sehr schön: 'Das Greisenalter ist eine Stufe unseres Lebens und hat wie alle anderen Lebensstufen ein eigenes Gesicht, eine eigene Atmosphäre und Temperatur, eigene Freuden und Nöte. Altsein ist eine ebenso schöne und heilige Aufgabe wie Jungsein. Um als Alter seinen Sinn zu erfüllen und seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss man mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss Ja dazu sagen.'

Auf diese Weise leisten Sie als alte Menschen für die Jüngeren einen wichtigen Dienst, den nur Sie erfüllen können. Wenn die jungen Menschen in der Begegnung mit Ihnen lernen, Sie in Ihrem Alter anzunehmen, dann lernen sie, ihre eigene Zukunft anzunehmen. Wer sich an alten Menschen freut, wird die Angst vor dem Altern ablegen können. Sie, die Älteren, können uns, den Jüngeren, helfen, unsere eigene Zukunft anzunehmen und ohne Ängste selbst im Älterwerden voranzuschreiten.

Liebe Seniorinnen und Senioren, aber auch Sie sind selbstverständlich und auf vielfache Weise eingeladen. Die Häuser und Gemeindezentren stehen allen offen, auch Ihnen. Viele Kreise und Gruppen in den Kirchengemeinden vor Ort setzen sich dafür ein, dass ältere Menschen integriert leben können.

Zu den wichtigsten Aufgaben einer Kirchengemeinde gehört es, den Armen, Kranken und Notleidenden zu helfen. Menschen, die einsam sind und sich verlassen vorkommen, darf es in unseren Gemeinden nicht geben.

Sollte dies dennoch einmal anders sein oder Sie davon erfahren, haben Sie Mut, sich zu melden. Ziehen Sie sich nicht allein und bitter zurück, sondern machen Sie bitte auf sich und andere aufmerksam, wenn Sie sich übersehen, übergangen oder gar abgeschoben fühlen. Das darf nicht sein.

Dass Älterwerden und Altsein nicht immer leicht und angenehm sind, weiß ich wohl. Manches Mal kommen Beschwernisse aus Krankheit und nachlassenden Kräften dazu.

Der 90. Psalm zeichnet uns ein realistisches Bild dieses Lebenslaufes, wenn es heißt: 'Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; sie gleichen dem sprossenden Gras. Am Morgen grünt es und blüht, am Abend wird es geschnitten und welkt.' So ist unser Leben, voller Gegensätze, ausgespannt zwischen Blühen und Werden, Jungsein und Altwerden, Sprossen und Abgeschnittenwerden. Da konfrontiert uns der Psalm unerbittlich mit unserer Vergänglichkeit – aber er tut dies vor dem Hintergrund eines Grundvertrauens, das ich Ihnen hier gerne weitergeben möchte. Der Psalmist fährt fort: 'Herr du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.'

Zwei Dinge sind mir hier ganz wichtig: Wie gut und wohltuend ist es, wenn wir um eine solche Zufluchtsstätte wissen, wenn wir vertrauen können, gerade dann, wenn die Sonne sinkt und die Schatten länger werden. Unser Leben ist nicht nur Rückkehr zum Staub und kein Verlorengehen ins Nichts, sondern zu ihm gehört die zugesagte Verheißung der Heimkehr. Und zweitens wird auch der Gedanke der Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht nochmals aufgegriffen: Wir stehen in einer Geschichte von Generationen, haben Eltern und Vorfahren, an die wir zurückdenken, denen wir vieles verdanken, und wir geben unseren Kindern und Enkeln all das weiter, was uns wichtig ist. Was kann es Bedeutenderes und Großartigeres geben, als dieses Grundvertrauen mitzuteilen? 'Herr du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht.'

Liebe Schwestern und Brüder,
so danke ich Ihnen nochmals für Ihr Glaubens- und Lebenszeugnis und vor allem für Ihr Gebet. 'Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet, bis ihr grau werdet, will ich euch tragen', so spricht Gott zu uns Menschen – mit vertrauter Stimme und für uns voller Hoffnung. Diese Gewissheit unseres Glaubens ist ein großes Geschenk. Unser Gott geht mit und trägt uns – bei Hochzeit und Geburt, bei Krankheit, in Alter und Tod.

Verbunden im Gebet erbitte ich den Segen Gottes für Sie, Ihre Angehörigen und alle Menschen, die einen besonderen Platz in Ihrem Leben haben.

In bleibender Verbundenheit grüße ich Sie alle von Herzen

Ihr Bischof

Dr. Gebhard Fürst

 
 

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