Patientenverfügung

Pressemitteilung zur Tagung

Selbstbestimmung und Patientenwohl
am Lebensende

Das neue Gesetz zur Patientenverfügung.
Bewertung und Konsequenzen
aus kirchlicher Sicht
.
Eine gemeinsame Tagung der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart, in Verbindung mit der Landesarbeitsgemeinschaft
Katholische Seniorenarbeit und der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz in
Baden-Württemberg am 24.10.2009.


„Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod

Tagung zur Patientenverfügung

Die seit September bundesweit gesetzlich geregelten Verfügungen müssten weiterhin die Autonomie des Patienten in verantwortlicher Weise gewährleisten, betonte der Bischof auf der Tagung „Selbstbestimmung und Patientenwohl am Lebensende - Bewertungen und Konsequenzen aus christlicher Sicht”.


Dazu bedürfe es einer Verbindung der Autonomie des Patienten mit der Fürsorge für ihn. Aus kirchlicher Sicht sei darum großer Wert auf eine Vorsorge- oder Betreuungsvollmacht zu legen, auf deren Basis ein bevollmächtigter Mensch in Abstimmung mit Ärzten, Pflegern und Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Patienten ergründen und durchsetzen kann.
So genannte Christliche Patientenverfügungen müssten in diesem Sinne der Gesetzeslage angepasst werden, so Bischof Fürst. Mit Blick auf die Reichweite solcher Verfügungen unterstrich er, dass sie dann nicht zum Tragen kommen dürfen, „wenn der Tod nicht unmittelbar bevorsteht”, zum Beispiel bei anhaltendem Koma oder bei fortgeschrittener Demenzerkrankung. Mit dieser Position würden sich die Kirchen gegen eine häufig wahrzunehmende Tendenz stellen, das Leben von Koma-Patienten oder anderweitig eingeschränkten Menschen generell als nicht mehr lebenswert oder sinnvoll darzustellen.
Bischof Fürst betonte, bei aller Notwendigkeit von Rahmenvorschriften könne nicht alles in Fragen zum Lebensende bis in die letzten Einzelheiten rechtlich festgelegt werden. „Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod.”
Mit Blick auf das Thema Sterbehilfe forderte der Bischof, der qualitative ethische Unterschied zwischen Töten und Sterben lassen dürfe nicht eingeebnet werden. Weder der Kranke noch der Arzt seien aber sittlich verpflichtet, jedes irgendwie erreichbare Mittel zur Lebensverlängerung anzuwenden. Die Verwendung von Mitteln zur Linderung von Schmerzen oder zur Verringerung von Atemnot und Übelkeit aber sei etwas anderes als die Verabreichung von Mitteln, die eine Beendigung des Lebens zum Ziel haben.

Auf der von den Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg in Verbindung mit den Landesarbeitsgemeinschaften Katholische Seniorenarbeit und Hospiz in Baden-Württemberg veranstalteten Tagung sprachen außer Bischof Fürst die Berliner Medizinprofessorin Jeanne Nicklas-Faust, der Mainzer Theologieprofessor Johannes Reiter sowie der Esslinger CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Grübel und der Jurist Robert Wessels vom Katholischen Büro in Berlin.

Pressemitteilung drs/Uwe Renz

Markus Grübel stellte in seinem Statement dar, warum das neue Gesetz notwendig geworden war: Die bis dahin bestehende Rechtsprechung sei heftig umstritten gewesen. Das neue Gesetz schaffe nun Rechtssicherheit, auch wenn es absolute Rechtssicherheit in dieser Frage nicht geben könne. Die Problematik der Patientenverfügung für die Politik führte Grübel auf zwei Grundfragen zurück:
1. „Sind vorausverfügter Wille und der aktueller Wille gleich und damit auch gleich zu behandeln?”
2. „Macht es ethisch und rechtlich einen Unterschied, ob es sich um einen unheilbar kranken, unumkehrbar sterbenden Menschen handelt oder um einen Menschen, der sein Bewusstsein niemals wieder erlangt oder um einen heilbaren oder schwerstbehinderten Menschen, der aber nicht am sterben ist?” Was die erste Frage angeht, so behandele der Gesetzgeber mit der nun verabschiedeten Regelung den in der Patientenverfügung vorausverfügten Willen wie den aktuellen Willen. Auch in der zweiten Frage würde durch das Gesetz nicht differenziert. Die Werte „Selbstbestimmung” und „Lebensschutz” seien bei Entstehung des Gesetzes in einen Ausgleich zu bringen gewesen. Gesetzentwürfe, die dem Lebensschutz eine stärkere Position gegeben hätten (z. B. durch eine verpflichtende ärztliche Beratung vor Abfassung einer Patientenverfügung), hätten sich aber nicht durchsetzen können. In der jetzigen Form sei, so Grübel, das Gesetz eine scharfe Waffe, die ein Patient durch unklare Formulierungen gegen sich selbst richten könne. Persönlich könne und wolle er mit dem Gesetz, wie es ist, nicht leben, „aber vorläufig haben wir dieses Gesetz.”

Robert Wessels, stellte die Position dar, die sowohl der Deutsche Caritasverband, das Zentralkomitee der Deutsche Katholiken als auch die Deutsche Bischofskonferenz vertraten: Bei allen Entscheidungen über Abbruch der Behandlung oder Nicht-Vornahme lebenserhaltender Behandlungen solle ein gerichtlicher Genehmigungsvorbehalt stehen. So wäre der Lebensschutz gestärkt worden. Außerdem hätte eine solche Regelung das Personal, dass nun die Patientenverfügung ausführen muss, hinsichtlich der eigenen Verantwortung entlastet. Nun fordere das Gesetz, dass eine Patientenverfügung „eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nicht-Einwilligung in eine bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahme enthällt”. D. h., allgemeine Richtlinien oder Festlegungen reichten in einer Patientenverfügung nicht mehr aus. Folgen für die Formulierung der „Christlichen Patientenverfügung” seien offensichtlich. „Allerdings bedeutet das nicht, dass die bisher getroffenen Verfügungen wirkungslos sind.“ Diese Verfügungen seien weiterhin als Betreuungswünsche zu beachten. Auch die Forderung nach einer „Reichweitenbegrenzung” sei im Gesetz nicht erfüllt. Die Patientenverfügung habe also auch Gültigkeit, wenn der Tod nicht unmittelbar bevorstehe.

Positiv sei allerdings zu bewerten, dass das Gesetz nun Vorgaben über die Ermittlung des mutmaßlichen Willens mache. Während frühere Äußerungen eines Patienten hierfür herangezogen werden dürfen, könne man sich nicht mehr einfach auf „allgemeine Wertvorstellungen” berufen. Dies sei eine Stärkung des Lebensschutzes, da man sich bisher auf allgemeine Wertvorstellungen zurückgriff, um die lebenserhaltenden Behandlungen nicht einzusetzen, „weil so doch eigentlich keiner mehr leben möchte”. Wessels kritisierte, dass die Beratung im Vorfeld einer Patientenerfügung nicht zu den von den Krankenkassen zu bezahlenden Leistungen gehöre. Für den, Fall, dass jemand in seiner Patientenverfügung eine ärztliche Behandlung ablehne, brauche er auch keine Beratung, so die Argumentation von gesetzlicher Seite. Wenn man andererseits in der Patientenverfügung in eine ärztliche Behandlung einwilligt, müsse zuvorher eine Beratung erfolgt sein oder zumindest in der Patientenverfügung ausdrücklich der Verzicht auf diese Beratung erklärt werden, sonst sei die Patientenverfügung wieder „nur Behandlungswunsch”.

Prof. Dr. Johannes Reiter beantwortete die Frage, wem den jetzt eine Patientenverfügung noch nütze: In erster Linie dem Patienten selbst, da er bestimmen könne, welche eindeutig beschriebene Maßnahmen wie z. B. Reanimation, Bluttransfussion oder die Fortführung einer künstlichen Ernährung unterbleiben sollen. Der Patient brauche der Rechtssicherheit wegen nicht befürchten, dass sein Wille gebrochen wird. Auch, wer keine Patientenverfügung verfasse, träfe eine Entscheidung, denn dann gelte: im Zweifel für das Leben. Dadurch werde das Verhältnis Patient-Arzt entkrampft sowie das Gewissen von Arzt und Angehörigen entlastet, da sie keine eigene Entscheidung treffen müssten, sondern lediglich die Entscheidung des Patienten umzusetzen hätten. In einem weiteren Schritt arbeitete Reiter die Unterschiede zwischen der Christlichen Patientenverfügung und der Patientenverfügung im Sinne des neuen Gesetzes heraus. Hintergrund für die Christliche Patientenverfügung sei der christliche Glaube. Das Leben ist von Gott geschaffen und Gott setzt ihm auch seine Grenzen, aber das bedeute nicht, dass der Mensch im Hinblick auf den Tod gar nicht handeln dürfe. Wie das ganze Leben, so müsse auch dessen Ende gestaltet werden. Die Christliche Patientenverfügung kann im Gegensatz zu anderen Patientenverfügungen besondere Akzente setzen. Die nun geltende Patientenverfügung rechtfertigt sich weitgehend mit der Selbstbestimmung des Patienten, die auch von der theologischen Ethik und der Kirche nicht bestritten werde. Allerdings dürfe Selbstbestimmung nicht als völlige Unabhängigkeit gesehen werden, da sie nur im gesellschaftlichen Zusammenhang Gestalt gewinnen könne („Fürsorgeprinzip”). Andererseits dürfe die Selbstbestimmung nicht ohne weiteres durch das Fürsorgeprinzip ausgehebelt werden. In Anleihe an die Katholische Soziallehre formulierte Reiter: „So viel Selbstbestimmung wie möglich und so viel Fürsorge wie nötig”. Eine Patienteverfügung sei kein Akt, der Gott ins Handwerk pfusche, denn Entscheidungen von Menschen schränkten die Macht Gottes nicht ein.

Prof Dr. med. Jeanne Nicklas-Faust beleuchtete das Problem aus der Sicht als Ärztin. „Es gibt Patienten, die eine sehr klare Vorstellung haben und an dieser auch festhalten.” Für diese Patienten sei es wichtig, eine verbindliche Form der Patientenverfügung zu haben. Dann gäbe es wiederum die Grundannahme der Patientenverfügung: „Ich kann einen Willen im Vorhinein bilden über eine Situation, die sich existentiell von der Situation unterscheidet, in der ich im Augenblick bin - und ich bleibe dabei.” Allerdings zeigten Untersuchungen, dass nicht alle Verfasser einer Patientenverfügung tatsächlich dabei blieben. Bei einem Drittel gäbe es schon zwei Jahre nach Verfassen der Patientenverfügung geänderte Auffassungen, ohne, dass es diesen Menschen bewusst wäre. Sie seien dann der Ansicht, diese geänderte Meinung zwei Jahre vorher in der Verfügung geschrieben zu haben. Hinzu komme, dass es auf die Frage, ob jemand eine Chance habe, keine sichere ärztliche Prognose gäbe. Schwierige Fälle, die aber ganz sicher wüssten, was sie wollen und was nicht, seien mitunter für die Ärzte die einfachsten: „weil die sich einfach durchsetzen und sie gehen einfach ihren weg.” Aber die große Menge der Patienten, bei denen diese Klarheit seitens des Patienten nicht gegeben ist, stelle die Ärzte vor schwierige Entscheidungen. Viele der bisher vorhandenen Patientenverfügungen seien keine Patientenverfügungen im Sinne des Gesetzes. „Aber ich frage mich, ob das in Zukunft so viel anders sein wird. Wahrscheinlich wird es Rechtskundige geben, die sehr genaue Formulierungen machen. Aber ich frage mich, ob das der Weisheit letzter Schluss ist, ob es nicht letztlich dabei bleiben sollte, dass es für die meisten Menschen richtig ist zu sagen: ‚So ungefähr hätte ich es gerne. Und dann wünsche ich mir, dass meine Lieben, meine bevollmächtigten Angehörigen gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten überlegen, was jetzt der richtige Weg in dieser Situation ist.”

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion, moderiert von Dr. Beate Gilles vom Katholischen Bildungswerk Stuttgart e. V. Dabei wurden weitere Probleme deutlich, etwa, dass viele Patienten, die eine Patientenverfügung verfassen, diese gar nicht mit ihrem Hausarzt absprächen. Da die Patientenverfügungen nicht beim Notar zu hinterlegen sind, ist es bei Unfällen oft schwierig, festzustellen, ob eine solche Verfügung überhaupt vorhanden ist. Auch erweckt das Gesetz den Eindruck, alles sei regelbar, etwas, das besonders in der Situation des Sterbens und des Todes oft nicht gegeben ist. Hier bräuchte es auch noch andere Zugangsweisen. Das bestätigten auch die Wortmeldungen aus dem Publikum. Bischof Fürst fasste am Ende zusammen, es sei wichtig, dass Menschen Tod und Sterben nicht einfach von sich wegdrückten, sondern sich damit auseinander setzten. Oft sei eine innere Abwehr dagegen vorhanden, man brauche dafür jemanden, der sachkompetent und zugleich vertraut sei. Die Kirche habe hier die Aufgabe, niederschwellig Möglichkeiten der Beratung zu bieten.

 

 
 

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