Gesellschaftliche Bilder und Lebenslagen von älteren Menschen

Bericht über eine Tagung der Katholischen Akademie in Hohenheim

von Hans-Jörg Eckardt, Pressesprecher des LSR

„Dieser Tag hier hat es mir neuerlich bestätigt: dieses Fremdbild, das Feindbild und die Klischees über ,die Alten’ dürfen wir nicht einfach so stehen lassen.” Mit diesen Worten hat Siegfried Hörrmann, Vorsitzender des Landesseniorenrates Baden-Württemberg (LSR), die Ergebnisse der Tagung „Gesellschaftliche Bilder und Lebenslagen von älteren Menschen” in der Katholischen Akademie in Hohenheim zusammengefasst. Er erklärte weiter: „Mit unseren guten Argumenten müssen wir dagegen angehen. Es liegt an uns, dass wir diese Vorurteile nicht als gottgegeben hinnehmen. Deshalb ist es angesagt, dass wir alle öffentlich Stellung beziehen und gegen falsche Altersbilder vorgehen. Bisher ähneln wir Älteren in mancher Hinsicht einem ,schlafenden Riesen’. Gelegentlich habe ich die Furcht, dass er von den Falschen geweckt werden könnte.” Mit Blick auf die Politik räumte Hörrmann dieser das Recht ein, dass sie den demografischen Wandel bei den gegenwärtigen Reformbemühungen berücksichtigen will und wohl auch muss. „Allerdings”, so Hörrmann weiter, „darf dies nicht gegen uns, sondern kann nur mit uns geschehen.” Den über 60 Teilnehmenden legte er zur Heimreise auch ans Herz, die Kernaussage des Referates von Dr. Hans-Peter Tews zu verinnerlichen und weiter zu tragen, dass „Altern Zukunftsgestaltung ist”.

Vorangegangen waren gehaltvolle Vorträge, aber auch engagierte und temperamentvolle Diskussionen. Es ging um Befunde und Schlussfolgerungen des Medienverbundprojektes „Das 3. Leben”. Für dieses einmalige Vorhaben gemeinschaftlich mit dem Südwestrundfunk, bei dem 30 „neue Alte” vom Tage ihres Ausscheidens aus dem Betrieb über 10 Jahre hinweg mit der Kamera begleitet worden sind, sprach der LSR-Vorsitzende allen Beteiligten seinen ganz herzlichen Dank aus.

Nach der Begrüßung sowie Grußworten hatte Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey aus Berlin über die ersten Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung berichtet. Einige ihrer Thesen:

Die gestiegene Lebenserwartung stellt Individuen und Gesellschaften vor gewaltige Herausforderungen, schon allein deshalb, weil der Prozess des Alterns noch immer mit besonders negativen Klischeevorstellungen besetzt ist. Wir freuen uns nicht mehr über die Tatsache, dass wir dieses Privileg des langen Lebens gemeinsam erkämpft haben. Da Altwerden so sicher geworden ist, erscheint es uns als Zumutung, altern zu müssen.

Noch nie haben so viele Menschen ihren Übergang in die berufsfreie Lebensphase in einer so guten Gesundheitsverfassung erlebt. Noch nie in der Geschichte der Menschheit hatten so viele Frauen und Männer eine viele Jahre andauernde nachberufliche Zeit vor sich. Doch die Gesellschaft hält für Frauen und Männer nach Aufgabe der Berufsarbeit zur Zeit nur wenig sinnstiftende Deutungsansätze, Hilfen oder Aufgabenzuschreibungen bereit. Leitbilder, die dem Einzelnen helfen könnten, die nachberufliche Lebensphase zufriedenstellend und sinnerfüllt zu gestalten, fehlen.

Fünfzehn verschiedene Typen des Übergangs und Lebens in der nachberuflichen Lebensphase wurden identifiziert, u.a.:

  • Traditionelle: Sie passen sich dem immer noch gängigen Altersbild in der Gesellschaft an, übernehmen bereitwillig Rollen, die ihnen die Gesellschaft noch übrig lässt.
  • Selbstbestimmte: Sie wehren sich gegen Rollenzuweisungen, brechen aus Bahnen aus, in die sie die Gesellschaft drängen will, entwickeln einen eigenen Lebensentwurf.
  • Gesundheitsbewusste: Sie bemühen sich um einen gesundheitsbewussten Lebensstil, beobachten aber oft auch ängstlich alle Veränderungen am Körper und füllen die Sprechstunden der Ärzte.
  • Genügsame: Sie ergeben sich bereitwillig in die durch niedrige Rente erzwungene bescheidenere neue Lebensführung, verzichten auf Dinge, die das Leben schön machen könnten, ohne immer das Gefühl zu haben, dass ihnen etwas verloren geht.
  • Weitermacher: Sie gehen ungern, oft auch später in den Ruhestand, setzen berufliche Aktivitäten fort; häufig unter Selbstständigen zu finden.
  • Dulder: Sie neigen zum Rückzug, vermeiden Kämpfe und Auseinandersetzungen um Rechte und Vorteile.

Weitere Typen entnehmen Sie dem Beitrag „Das 3. Leben“: Spezifik, Stationen und Schlussfolgerungen des Projekts von Adelheid Kuhlmey und Tanja Hitzblech in dieser Ausgabe des „im blick“.

In der lebhaften Diskussion räumte Waldemar Bubeck, früher Personal-Verantwortlicher beim „Daimler” in Sindelfingen ein, dass er gerne einer dieser 30 „Fernsehstars” gewesen sei. Allerdings habe er erst im Verlaufe dieser 10 Jahre richtig über seinen Positionswechsel zum Älteren nachgedacht. Gute Ratschläge hätte er jedoch zuvor schon massenweise gegeben, wenn er Fach- und Führungskräfte in den Ruhestand verabschiedete. Klargestellt wurde auch, dass die Politik das gewandelte Altersbild zur Kenntnis nehmen und danach handeln müsse. Denn es habe sich beim Älterwerden vieles geändert, es sei eine „Revolution auf leisen Sohlen” gewesen.

Große Aufmerksamkeit fand auch das „Talkcafé” wobei schade war, dass zu wenig Zeit dafür blieb. Beim „Gespräch mit älteren Frauen und Männern – Selbstbilder und Fremdbilder” wurden zuerst Angelika Horenburg und Waldemar Bubeck als zwei der 30 Fernsehbegleiteten befragt und anschließend Ide Schneider (stv. Vorsitzende des LSR) sowie Werner Frank (Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft evangelischer Seniorinnen und Senioren in Württemberg und Mitglied im Vorstand des LSR). Wichtige Aussagen daraus: „Es würde sehr schlecht aussehen, in unserer Gesellschaft, ohne das Engagement der vielen Seniorinnen und Senioren. Daher sind sie auch nicht die Schmarotzer der Gesellschaft. Deshalb müssen sie in der Öffentlichkeit noch mehr ihre Stimme erheben und klarstellen, dass sie nicht alle durch die Welt kutschieren und das Geld verjubeln. Die Alten brauchen sich nicht zu verstecken oder gar zu schämen”, das erklärte Waldemar Bubeck.

Auf praktische Erfolge konnte Angelika Horenburg verweisen. Sie hat durch ihr Engagement nach einem ersten Fehlschlag doch noch ein Projekt für gemeinschaftliches Wohnen von Jung und Alt in Bayern erfolgreich zu Ende gebracht. Und daraus sei jetzt eine richtige „Bewegung“ geworden, die sich sogar stärker als in Dänemark und Holland entwickelt habe.

Ide Schneider bedauerte, dass es zu viele passive Seniorinnen und Senioren gibt, die sich nicht für diese wichtigen Themen interessieren. Sie genießt jetzt die Freiheit die man im Alter hat. Nun kann sie auf leidige Dinge auch ganz öffentlich hinweisen, weil sie nicht mehr in Abhängigkeiten steckt. Ihre Forderung: „Wir müssen selbstbewusster auftreten und den Kontakt mit den Jungen pflegen.”

Für Werner Frank sind die Seniorenräte genauso wie die Kirchen, wichtige Institutionen und Schienen auf denen die Belange der Älteren und das Miteinander in der Gesellschaft vorangebracht werden können. Aber auch bei ihm gilt: „Wer klar und deutlich, sowie griffig, manchmal sogar ,angriffig’, redet, der bewegt was. Und wir müssen uns bewusst machen, dass wir mehr Gewicht haben, als uns allgemein zugebilligt wird. Altersgrenzen sind zwar überall hemmend, es gibt in Wirklichkeit aber nur Kompetenzgrenzen.”

Befragender und Diskussionsleiter, der Pastoralreferent Wilfried Vogelmann fasste zusammen: „Diese neuen Bilder und Ideen verändern hoffentlich die Gesellschaft. Jede Generation ist Gestalter ihrer Zeit. Auch die katholische Kirche muss ihre Bemühungen dabei bündeln und ihre Wirkung verstärken.”

Beim Mittagessen lief der Austausch nach dieser Informationsfülle natürlich weiter. Als künstlerisches Dessert gab es danach eine Einführung in die Ausstellung „Lebensspuren – Spuren zum Leben” der Künstlerin Kerstin Rehbein. Ihre beeindruckenden Werke  teilweise beim ökumenischen Kirchentag in Berlin dabei  wurden von Christine Czeloth-Walter in hervorragender Weise nahegebracht. Bei dieser Gelegenheit wird das Angebot weitergegeben: Diese Ausstellung kann auch an anderen Orten gezeigt werden.

Es folgte der Vortrag von Dr. Hans-Peter Tews über die „Produktivität im Alter, Interessen, Erwartungen und Ansprüche”. Ausgangspunkt war, dass das Alter meist mit unproduktiv gleichgesetzt wird. Im Alter gibt es jedoch andere Formen der Produktivität. Allerdings beginne man im Schnitt erst 4 Jahre vor dem Ende im Beruf nach einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu suchen.

Mit Schaubildern wurde verdeutlicht, welche Geld- und Sachtransfers hauptsächlich von den Alten zu den Kindern und Enkelkindern fließen, ebenso wie bei den „instrumentellen Hilfen”. Wichtig sei auch die intragenerative Hilfe, innerhalb der Generationen. Große Bedeutung habe auch die „Umfeldproduktivität”. Denn drei Viertel der ehrenamtlichen Hilfen würden direkt vor Ort, also in der Nachbarschaft geleistet. Das Alter ist heute am markantesten durch den gesellschaftlichen und strukturellen Wandel beeinflusst und gekennzeichnet. Deshalb werden die Älteren ihrerseits in Zukunft die gesellschaftliche Entwicklung deutlicher beeinflussen. Die Abwendung von der negativen Alterssicht bringe die Zuwendung und Nutzung der Potenziale der Älteren. Bei den Älteren gibt es immer noch eine extrem hohe Wahlbeteiligung und sie sind keine generellen Wechselwähler. Daraus folgt: wenn die Alten „richtig auf die Straße gehen würden”, wären sie für die Politik problematisch. Aber auch die Firmen, besonders Großbetriebe werden aufmerksam. Sie entdecken, dass sie mit ihren weggehenden oder entlassenen Älteren viel (oft zu viel) Potenzial verlieren und nun schauen müssen, dass sie Ersatz bekommen.

Dr. Joachim Drumm, Ordinariatsrat bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart, sprach „Facetten des Altwerdens als kirchliche Realität und Aufgabe” an. Sein Beitrag ist in dieser Ausgabe des „im blick” in voller Länge abgedruckt.

Das Miteinander dürften alle, die sich in Hohenheim einen Tag lang ausgetauscht und viele Informationen bekommen haben, sicherlich fortsetzen. Das Seminar hat gute Grundlagen dafür vermittelt.

 
 

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